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Interview: Alltag von drei Lehrerinnen in Zeiten von Corona

Veröffentlicht 2 April 2020


„Meine größte Sorge ist: Wie sollen wir am Ende die Leistungen benoten?“

In Zeiten der Corona-Krise ist bei Lehrern Kreativität gefragt, um den Fernunterricht auf die Beine zu stellen. Wir bei IST finden es bewundernswert, mit wie viel Einfallsreichtum Lehrer dabei aktuell zu Werke gehen. Wir wollten aber einmal genauer wissen, worüber sie sich in ihrem Alltag zurzeit Gedanken machen.

Da wir ein multinationales Unternehmen sind, haben wir direkt die Chance genutzt und mit drei Lehrerinnen aus Dänemark, Norwegen und Deutschland darüber gesprochen, um ein Stimmungsbild zu bekommen und die Situationen in den einzelnen Ländern miteinander vergleichen zu können.

Für Norwegen hat uns Liv Elisabeth, Lehrerin einer 4. Klasse, Auskunft gegeben.

Es zeigt sich ganz klar, wie stark Deutschland in Sachen Digitalisierung hinterherhinkt:

In Dänemark hat Louise, Lehrerin einer 6. Klasse an einer dänischen Grundschule, unsere Fragen beantwortet.

Welche Herausforderungen erleben Sie gerade in Sachen Unterricht auf Distanz?

Katharina aus Deutschland: Meine Hauptherausforderung ist, dass ich überhaupt dazu komme, den Unterricht auf die Beine zu stellen, weil ich selbst mit drei Kindern zu Hause sitze, die ich beschäftigen muss. Das läuft alles so zwischen Tür und Angel und abends, aber dann bin ich auch müde. Das Unterrichtsmaterial zu sichten, ist gar nicht mal das Problem. Aber ich hätte gern mehr Zeit, um alles ein bisschen netter zu gestalten und vielleicht auch mehr herauszusuchen, was die Schüler im Netz machen können, also interaktiv. Aber ich halte es momentan erstmal so, dass sie in den Büchern arbeiten müssen.

Louise aus Dänemark: Wenn sich so viele Schüler jeden Tag zur gleichen Zeit auf den digitalen Plattformen anmelden, werden die Systeme überlastet. Dies bedeutet, dass wir Lehrer tagsüber das Gefühl haben, dass wir nicht auf die Plattformen gelangen können oder dass es sehr langsam funktioniert. Die Plattformen nicht nutzen zu können, wann immer wir wollen, ist sowohl für die Studenten als auch für uns eine Herausforderung. Die Kontaktaufnahme mit jedem Schüler – und die Bereitstellung der richtigen Hilfe für jeden Schüler – ist ebenfalls eine große Herausforderung. Es ist schwierig und braucht viel Zeit. Wenn die Plattformen unter Druck stehen und wir dem Schüler nicht die notwendige Hilfe leisten können, gerät die Beziehung zwischen mir und den Schülern unter Druck. Eine weitere Herausforderung besteht darin, meinen Unterricht wie gewohnt anzupassen. Ich muss jedem eine gemeinsame Botschaft und die gleiche Anweisung geben, und sie entspricht nicht immer dem Bedürfnis des Einzelnen nach Hilfe.

Liv Elisabeth aus Norwegen: In einer regulären Klasse gibt es normalerweise große Unterschiede darin, wie viel Hilfe und Unterstützung die Schüler zu Hause haben. Da der gesamte tägliche Unterricht online stattfinden wird, ist es wichtig, dies zu berücksichtigen, damit möglichst viele Menschen die ihnen übertragenen Aufgaben meistern können. In meinem Team haben wir uns für die Lernplattform entschieden, mit der die Schüler zuvor vertraut waren. In der ersten Woche gab es sowohl für Schüler und Eltern als auch für Lehrer große Frustrationen. Darüber hinaus wissen die meisten Eltern bisher wenig über das Tool. Aufgrund dieser Probleme haben wir uns entschieden, Tagespläne und relevante URLs zu senden, mit denen die Schüler über das Dialogwerkzeug der Gemeinde zwischen Heim und Schule arbeiten sollten. So wurden die Schüler nicht so abhängig davon, nur die Lernplattform zum Arbeiten nutzen zu müssen. Die Tatsache, dass Schüler Aufgaben einreichen und ihre Aufgaben direkt auf der Lernplattform als erledigt abhaken können, gibt uns Lehrern einen guten Überblick über die Arbeitsweise der Schüler. Damit die Schüler jeden Tag etwas lesen können, verwenden wir die Plattformen Lesemesteren.no und Aftenposten Jr. Beide stellen ihre Angebote kostenfrei zugängig zur Verfügung. Auf Lesemesteren.no können Lehrer nachsehen, was jeder Schüler liest, genauso wie wir die Schüler bei MultiSmart Exercise in Mathematik überprüfen können. All dies sind nützliche Werkzeuge für uns als Lehrer.

Wie bleiben Sie momentan mit den Schülern in Kontakt?

Katharina: Per E-Mail. Wir schicken die Aufgaben mit allen Infos an die Eltern. Die Oberstufenschüler haben ja meistens schon selbst E-Mail-Adressen. Leider ist unsere Schule ganz schlecht ausgestattet. Bis vor Kurzem hatten wir nicht mal flächendeckend W-LAN. Wir hatten zwei altmodische Computerräume und haben gerade erst im Februar Tablet-Klassensätze bekommen. Wir Lehrer haben dazu vorher eine Fortbildung gemacht, in der wir gelernt haben, wie man die Tablets für den Unterricht nutzen kann. Und wir haben natürlich auch nicht so viele Klassensätze an Tablets bekommen, dass jedes Kind eins mit nach Hause nehmen kann. Manche Schulen machen das aber. Aber unsere Schule hat viel zu wenig Tablets. Es gibt auch noch keinen Schulserver, und das erschwert uns jetzt die Kommunikation ganz erheblich (Anm. der Red.: Katharinas Schule hat diese Woche spontan einen Schulserver eingerichtet).

In Deutschland haben wir Katharina interviewt, sie unterrichtet 5. und 6. Klassen an einem Gymnasium in Düsseldorf.

Louise aus Dänemark: Jeden Morgen um 9 Uhr sende ich meinen Schülern einen Tagesplan mit einer Beschreibung, was die Kinder heute tun sollen. Da Dänemark eine gemeinsame, öffentliche Kommunikationsplattform für alle Kinder zur Verfügung stellt, ist es einfach, mit Kindern und Eltern im selben System zu kommunizieren. Ich verwende aber auch E-Mail, Instagram, SMS und altmodische Telefonanrufe, um mit allen zu kommunizieren. Tagsüber bin ich auf diesen Plattformen verfügbar, damit die Schüler mir Fragen stellen können. Außerdem erstelle ich Heimvideos mit Anweisungen, und jetzt, da wir noch länger zu Hause bleiben müssen, werde ich auch live online unterrichten.

Liv Elisabeth aus Norwegen: Am Ende der ersten Woche des Fernunterrichts sah ich, dass nicht alle Schüler auf allen Lernplattformen zu finden waren. Ich kontaktierte dann alle Eltern und fragte nach den Telefonnummern der Schüler. Nachdem ich mit jedem telefoniert hatte, konnte ich den Schülern weiterhelfen, damit sie die Hilfe bekamen, die sie brauchten, um dorthin zu gelangen, wo ich wollte. Außerdem habe ich einen Klassenchat erstellt, damit wir miteinander sprechen können. Es gibt jetzt auch Richtlinien der Gemeinde, wonach Lehrer mindestens einmal pro Woche mit ihren Schülern sprechen sollten. 

Haben Sie das Gefühl, dass die digitale Infrastruktur an Ihrer Schule ausreicht?

Katharina: Nein, nicht wirklich. Bei uns ist es jetzt zwar schon etwas besser geworden, weil wir endlich ein funktionierendes W-LAN-Netz haben, und weil uns jetzt in unserem Neubau Smartboards zur Verfügung stehen, auf die man die Bilder der Tablets projezieren kann. Aber wir haben noch lange keinen Stand, bei dem man sagen könnte, wir sind up to date. In den meisten Räumen stehen noch die guten alten Overheadprojektoren und Tafeln.

Louise aus Dänemark: Ich denke, die Grundlage für Fernunterricht ist vorhanden. Im Allgemeinen haben wir einige gute und gut funktionierende Systeme und ein gutes Kommunikationswerkzeug, mit dem jeder vertraut ist. Ich habe jedoch das Glück, mit Schülern eines Alters zusammenzuarbeiten, die kommunizieren können, indem sie ihre Fragen und Gedanken aufschreiben und an mich senden. Es wäre schön, wenn wir eine Art Videoplattform in die Kommunikationsplattform integrieren würden, die es ermöglichen könnte, mit mehr als einem Schüler gleichzeitig zu sprechen. Für jüngere Kinder ist es möglicherweise sehr schwierig, die digitalen Plattformen zu nutzen.

Liv Elisabeth aus Norwegen: Unsere Schüler sind mit der Verwendung der aktuellen Lernplattform bestens vertraut, daher haben wir uns entschlossen, sie weiter zu nutzen. Der Mangel an digitaler Ausrüstung in der Schule (nicht genügend PCs oder iPads) verhindert, dass wir die digitale Infrastruktur des Schulalltags nutzen können. Somit unterscheiden sich auch die digitalen Fähigkeiten der Schüler von den unterschiedlichen häuslichen Bedingungen. Um dies zu beheben, untersuchte die Schule, welche Ausrüstung die Schüler zu Hause hatten. Die Familien, die nicht so gut ausgestattet waren, durften sich iPads für zu Hause ausleihen. Außerdem versuchen einige Lehrer, während der Mittagspause gemeinsam mit den Schülern Zoom (ein Chatprogramm, Anm. d. Red.) zu verwenden, damit sich die Schüler sehen können. In meiner Klasse essen wir jetzt täglich zusammen bei Zoom zu Mittag. Es ist großartig, sich zu sehen, und ich bereite auch ein kleines Quiz oder Spiel vor, das zur Klassengemeinschaft beitragen wird. Es gab einige Tage mit einer steilen Lernkurve für alle – für Schüler, Lehrer und Eltern!

Was ist Ihre größte Sorge im Augenblick?

Katharina aus Deutschland: Die Benotung. Man gibt sich als Lehrer die größte Mühe, die Schüler jetzt mit Aufgaben zu versorgen. Die Bezirksregierung (in Nordrhein-Westfalen, Anm. d. Red.) spricht aktuell davon, dass alles, was die Schüler nun zu Hause erarbeiten, nicht in die Bewertung am Ende einfließen darf. Das finde ich äußerst unglücklich. Dann haben die Schüler erstens keinen Anreiz, zu Hause vernünftig zu arbeiten, und zweitens ist es auch für Lehrer nicht motivierend, wenn sie wissen, dass sie sowieso alles noch mal wiederholen müssen, wenn die Coronakrise vorbei ist. Ich finde, wenn wir schon entscheiden, dass die Schüler zu Hause für die Schule arbeiten sollen, dann muss das auch bewertet werden dürfen. Damit wir am Ende auch gerecht Noten vergeben können. Ich will die Schüler auch nicht stur mit Aufgaben zuballern. Natürlich sollen die etwas leisten, aber in diesen Zeiten finde ich es genauso wichtig, dass sie ihre gute Laune nicht verlieren, wenn sie jetzt zu Hause eingesperrt sind. Die brauchen auch etwas Abwechslung.

Louise aus Dänemark: Die Motivation, zu Hause eine Art Schuldisziplin zu haben, ohne Freunde und ohne Lehrer, um den Tag zu strukturieren, scheint eine große Herausforderung zu sein – besonders jetzt, wo die Zeit, in der wir zu Hause bleiben müssen, verlängert wurde. Es ist ziemlich einfach, den Computer nicht einzuschalten und den Lehrer nicht in einem Video zu sehen. Darüber hinaus denke ich, dass der mangelnde Dialog mit den Lehrern über die Lösung der Übungen für viele Schüler problematisch sein kann, wenn es darum geht, etwas zu lernen. Alle Schüler haben unterschiedliche Bedürfnisse und es ist schwierig, der Distanz gerecht zu werden. 

Liv Elisabeth aus Norwegen: Ich bin am meisten besorgt über die Schüler, die bereits im normalen Schulalltag zusätzliche Herausforderungen haben – akademisch oder sozial. Dies sind Kinder, die täglich zusätzliche Unterstützung benötigen und diese jetzt nicht mehr von uns Lehrern bekommen können. Ich versuche, den Unterricht so gut wie möglich an diejenigen anzupassen, die zusätzliche Aufmerksamkeit brauchen. Ich weiß, dass in vielen Familien ein großer Druck herrscht – insbesondere in Familien mit vielen Kindern und vielleicht auch dort, wo beide Elternteile sozialkritische Aufgaben haben. Es ist wichtig, diese Familien nicht zu sehr zu belasten, damit alles, was mit Schule zu tun hat, nicht nur als Stress empfunden wird! Es gibt einen großen Unterschied zwischen selbständigen Kindern und solchen, die es nicht sind. Jeder Schüler lernt jetzt viel auf neue Weise! Ich denke, es ist wichtig, dass die Lehrer ihre Erwartungen in Bezug auf die Leistung der Schüler in dieser Zeit vielleicht senken und sich auch darauf konzentrieren, zur psychischen Gesundheit beizutragen.

IST: Vielen Dank für das Interview!